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Diplomarbeit: Design from Recycling. Gestalterische Potenziale und Akzeptanz Der Produktgestaltung mit Sekundärkunststoffen.

Studium · TU Dresden · 19. Mai 2022 · Julia Schneider ·

Am Freitag, 19.05.22, um 10:00 findet die Diplomverteidigung von Raphael Vogler statt. (Klicken Sie hier, um an der Besprechung teilzunehmen). In seiner Arbeit beschäftigt er sich damit, welche Eigenschaften rezyklatbasierte Kunststoffe, überhaupt haben und wie man mit ihnen trotz materieller Abweichungen zu aktuell alltäglichen Primärkunststoffen, eine hohe Akzeptanz bei Nutzern erreichen kann. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen digital dabei zu sein.

Mit zunehmendem Umweltbewusstsein in der Gesellschaft und der sich entwickelnden Gesetzeslage steigt der Druck auf die Industrie, Lösungsansätze zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft im Kunststoff-Bereich zu finden. Stand heute werden in der EU nur ein Drittel der Kunststoffabfälle recycelt. Einer der Gründe für den geringen Einsatz von  Kunststoffrezyklaten (also ein Material bestehend aus recyceltem Kunststoff) ist das Imageproblem verglichen mit Primärrohstoffen. Sekundärstoffe werden häufig als minderwertig oder unattraktiv wahrgenommen, was die Nachfrage auf dem Markt bremst.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu untersuchen, inwiefern durch den Einsatz rezyklatbasierter Kunststoffe, deren technisch-funktionaler Eigenschaften und deren optischer wie haptischer Erscheinung positive Effekte bezüglich der Wahrnehmung und des Handelns der Verbraucher erzielt werden können. Ein besonderes Augenmerk lag dabei darauf, wie mit der Inhomogenität und Imperfektion des Materials umgegangen werden kann und welche Effekte und Potenziale bei der Produktgestaltung bewusst genutzt werden können. Hierzu bietet die Arbeit eine grundlegende Recherche zu Ecodesign im Kontext der Circular Economy, zu  Recycling und Rezyklaten sowie zur Produkt- und Materialwahrnehmung mit dem Ziel, Mittel und Wege aufzuzeigen, gestalterisch mit Rezyklaten umzugehen. Im Anschluss an eine Marktanalyse wurden Ziel- und Produktgruppen von besonderem Interesse für den Einsatz von Rezyklaten identifiziert. Basierend auf der Recherche wurden von Raphael Methoden und Konzepte der Gestaltung mit Rezyklaten entwickelt. Die Konzepte werden exemplarisch anhand von Elektroinstallationen im Smart-Home-Kontext angewendet und vorgestellt. Seine Konzepte beruhen darauf, die Unvollkommenheit von Rezyklaten, die sich beispielsweise in kleinen  visuellen Einschlüssen und Strukturen, sowie haptischen Abweichungen äußert, nicht zu verstecken. Die Entwürfe sollen diese Unperfektheiten bewusst gestalterisch nutzen und teilweise sogar verstärken.

VARIANZ: Da sich die Helligkeit von Rezyklaten sich je nach Charge ändern kann, ist schwierig zu garantieren, dass Erzeugnisse in Serienfertigung über längere Zeit farblich konsistent sind. Aus diesem Grund zielt das Konzept Varianz darauf ab, die Vielfalt der Grautöne von Rezyklaten für die Gestaltung zu nutzen. Während das Konzept kreativ mit den Grautönen umgeht, ist die Formsprache puristisch und zurückhaltend, um den Betrachter nicht zu überfordern. Der Neuheit im Material und in der Farbgestaltung wird eine Vertrautheit in Form gegenübergestellt, den Inhomogenitäten des Materials die Sauberkeit und Geradlinigkeit der Form. Der Einsatz großer Flächen und harter, klarer Kanten zielt auf Eleganz und Zeitlosigkeit ab. Durch die eckigen und quadratischen Formen sollen neben Stabilität und Festigkeit auch die qualitative Exaktheit und Hochwertigkeit kommuniziert werden. In pragmatischer Hinsicht soll die seriöse Gestaltung dazu beitragen, dass die Smart-Home-Devices im Allgemeinen und die Elektroinstallationen im Speziellen Sicherheit und Verlässlichkeit ausstrahlen. Durch die Konzentration auf das Wesentliche sollen die Geräte vertrauenswürdig und glaubhaft erscheinen.

 

NATUR: Das Konzept Natur greift die Inhomogenitäten im Material auf und interpretiert sie als Spuren natürlicher Prozesse. Struktur und Textur sind konzentrisch, aber ungleichmäßig auf dem Entwurf angeordnet. So wird eine gewisse Ordnung beibehalten, die strenge unnatürliche Form jedoch etwas aufgelöst. Die Struktur, die sich aus unterschiedlichen Oberflächenrauheiten ergibt, soll an Jahresringe im Holz und generell an wiederkehrende Muster aus der Natur erinnern, die aber nicht nach Perfektion streben. Die runde Form ist zwar einerseits richtungslos, andererseits wird der Fokus durch die konzentrischen Ringe in die Mitte gelenkt, also dorthin wo bei Schalter und Steckdose auch die Funktionselemente liegen. Somit soll erreicht werden, dass die pragmatische Wahrnehmung nicht unter der restlichen Gestaltung leidet.

 

PATINA: Im Konzept Patina wird die Imperfektion des Rezyklats als Spuren im Lauf der Zeit verstanden. Anders als im herkömmlichen Verständnis, in dem Patina während eines Produktlebens entsteht, werden hier Spuren aus der Vergangenheit des Materials in den Vordergrund gerückt. Sie ist Ergebnis vieler aufeinanderfolgender Recyclingzyklen. Übergreifend soll darin ausgedrückt werden, dass nicht nur das Produkt, sondern insgesamt das Material in seiner Lebenszeit intensiv genutzt wird. Eine zentrale Eigenschaft der Patina ist auch, dass sie Gegenstände der Massenproduktion zu Individualität und Einzigartigkeit verhelfen kann. Das Konzept folgt dahingehend den Trends industrial und shabby chic, in denen der Stellenwert von Produkten eben durch die Gebrauchsspuren steigt. Gestalterisch ist der Entwurf teilweise an die Designgeschichte der Elektroinstallationen angelehnt. Der Wippschalter und die runden Elemente sollen eine Referenz an historische Schalterdesigns sein, die die Vorgänger von den heute weitverbreiteten großflächigen Schalterdesign waren. Durch unterschiedliche Ebenen wird der Schalter nicht nur haptisch, sondern auch visuell belebt.

 

Um empirische Erkenntnisse auf hedonischer Wahrnehmungsebene hinsichtlich der Akzeptanz der entwickelten Gestaltungsansätze zu gewinnen, wurde anhand der visualisierten  Konzeptentwürfe eine Evaluation durchgeführt. In der Auswertung wurden auch hedonische Unterschiede zu einem klassischen Vergleichsprodukt identifiziert. Mit den Ergebnissen konnte Raphael erste Anhaltspunkte für die akzeptanzfördernde Gestaltung mit Rezyklaten im Rahmen der nutzerzentrierten Produktgestaltung identifizieren.

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